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Was der Video-Schiedsrichter beim Fußball mit Führung zu tun hat

Große Aufregung und Ärger beim Bundesligaspiel zwischen Frankfurt und Dortmund Ende Oktober. Der Haupt-Schiedsrichter vor Ort übersieht kurz vor Ende der 1. Halbzeit das klare Foulspiel eines Dortmunder Spielers im Strafraum der Frankfurter und versagt der Heim-Mannschaft beim Spielstand von 1:1 den fälligen Elfmeter. Obwohl in Köln ein Video-Schiedsrichter saß, der in der Kamerazeitlupe hätte erkennen müssen, dass ein Foulspiel vorlag kam es zu keiner diesbezüglichen Kommunikation. Der Elfmeter blieb ebenso wie eine dadurch mögliche 2:1-Führung der Frankfurter versagt. Am Ende siegte dann stattdessen Dortmund mit 2:1.


Dieser Vorgang ist nicht nur aus Sicht von Fußballfans interessant und lies prompt die übliche Diskussion über Sinn und Unsinn des Video-Schiedsrichters wieder aufflammen, sondern er ist auch aus Führungsgesichtspunkten höchst spannend, führt er doch eindrücklich vor Augen was passiert, wenn „Führungskräfte“ entverantwortet werden bzw. Verantwortung an eine „höhere Instanz“ abgeben. Es kommt nämlich zu Passivität, einem Verantwortungs-Vakuum, falschen Entscheidungen und nachfolgend zu Ärger, Konflikten und Vertrauensverlust.


Die Idee im Fußball einen Video-Schiedsrichter einzuführen, um mit technischen Hilfsmitteln damit gravierende Fehlentscheidungen zu verringern und das Spiel „gerechter“ zu machen ist ja erst einmal eine gute Sache. Andere Sportarten wie American Football, Eishockey oder Tennis setzten schon lange erfolgreich auf verschiedene Modelle, es nicht der Augenblicksentscheidung von Schiedsrichtern allein zu überlassen, ob alle Regeln eingehalten werden, der Ball „gut“ oder „aus“ ist oder ob der Puck im Tor war oder nicht.


Im Fußball wählte man unglücklicherweise ein Modell, welches zu einer Entverantwortung und Schwächung der Schiedsrichter vor Ort und zu einem Verantwortungs-Vakuum führt.


Beim Fußball ist es so, dass mit dem „Kölner Keller“ eine weitere Instanz in Person des Video-Schiedsrichters geschaffen wurde, mit der Aufgabe den Hauptschiedsrichter vor Ort zu „überwachen“ und nur bei offensichtlichen Fehlentscheidungen eine Überprüfung der Situation anhand von Kamera-Zeitlupen anzuregen. Hinsichtlich der Frage „Abseits oder kein Abseits“ sollte zudem mit moderner Kameratechnik auf Zentimeter bestimmbar sein, ob ein Spieler vor einem Tor im Abseits stand oder nicht. Die berühmte „kalibrierte Linie“.


Diese neue Verteilung von Verantwortung (zur Erinnerung: Vorher war ALLEIN der Hauptschiedsrichter vor Ort, unterstützt von seinen Assistenten in der Verantwortung der Spielleitung) führte schon bald, zu einem aus meiner Sicht verhängnisvollem Verhalten, zuerst zu beobachten bei den Schiedsrichter-Assistenten an der Seitenlinie.


Die gewöhnten sich nämlich an, immer öfter selbst klarste Abseitsstellungen nicht mehr durch Heben der Fahne anzuzeigen, sondern ließen das Spiel erst einmal weiterlaufen, um zu sehen, ob sich daraus ein Tor entwickelt oder nicht. Erst wenn klar war, dass in der Situation kein Tor fällt, hoben Sie dann die Fahne, um (nachträglich) zu zeigen, dass sie sehr wohl der Meinung waren, ein Abseits gesehen zu haben.


Die Assistenten begannen sich offensichtlich zu sorgen, durch das falsche Heben der Abseits-Fahne einen Angriff zu unterbrechen, der zu einem Tor hätte führen können. Fällt dann tatsächlich ein Tor, wird ja im Nachhinein ohnehin geprüft, ob Abseits oder nicht. Die Assistenten wurden also durch die technische Überprüfung des Abseits defacto ihrer Aufgabe beraubt und sie wurden passiv, hoben also die Fahne nicht mehr.


Gleiches geschieht, wenn Führungskräfte ihre Mitarbeiter entverantworten – diese werden ebenfalls passiv und vertrauen auf die höhere verantwortliche Instanz, dass diese schon die richtigen Entscheidungen treffen wird. Sie können sich – entverantwortet – entspannt zurücklehnen.


Auch der Haupt-Schiedsrichter vor Ort wird geschwächt, denn es entsteht ein Verantwortungs-Vakuum. Wer ist denn jetzt für die gravierende Fehlentscheidung wirklich verantwortlich? Der Haupt-Schiedsrichter, der das Foul übersehen hat oder der Video-Schiedsrichter, der offenbar die Kamerabilder nicht ausreichend geprüft hat und der hätte auf die Fehlentscheidung aufmerksam machen müssen? War dies nur eine Bringschuld des Video-Schiedsrichters oder hätte der Haupt-Schiedsrichter nicht auch den Video-Schiedsrichter bitten können, wenn nicht bitten müssen, sich die Szene noch mal anzuschauen? Oder hätte der Haupt-Schiedsrichter sich nicht gleich vor Ort – nur zur Sicherheit – die Kamerabilder nicht noch einmal selbst anschauen können? Letztendlich hat der Haupt-Schiedsrichter – und nur der stand auf dem Platz – nicht auf Elfmeter entschieden und mangels eines Hinweises aus dem Kölner Keller, der „Überwachungs-Instanz“ war er bis zum Spielende überzeugt richtig entschieden oder zumindest keine klare Fehlentscheidung getroffen zu haben. Erst danach musste auch der Haupt-Schiedsrichter zerknirscht einräumen, dass es nach Sicht der Kamerabilder ein ganz klarer Elfmeter war.


Die Entverantwortung des Haupt-Schiedsrichters durch die „höhere Verantwortung“ in Köln und das damit einhergehende in der Konzeption angelegte Verantwortungs-Vakuum haben also zu dieser gravierenden Fehlentscheidung geführt.


Weitere Folge: Ein Konflikt mit jeder Menge Wut und Ärger und Vertrauensverlust zwischen Haupt- und Video-Schiedsrichter. „Wie konntest Du das übersehen?“; „Warum hast Du nichts gesagt?“; „Warum hast Du nicht gefragt?“; „Warum hast Du Dir die Bilder nicht selbst angesehen?“ Kaum vorstellbar, dass die beiden in einem anderen Spiel noch einmal vertrauensvoll miteinander arbeiten können.


Am Ende stehen alle als Verlierer da. Haupt- und Video-Schiedsrichter, das Konzept des Video-Schiedsrichters als Ganzes aber vor allem die Spieler und Fans von Eintracht Frankfurt, die sich noch weit mehr ärgern dürften als wäre es "nur" eine Fehlentscheidung des Hauptschiedsrichters aus der Zeit vor der Einführung des Video-Schiedsrichters gewesen. In dem Fall wäre die Verantwortung aber zumindest klar gewesen.


Das Beispiel zeigt sehr gut, wie unklare Verantwortungs-Zuordnung bzw. Entverantwortung von Menschen zu Passivität, Fehlentscheidungen, Verantwortungs-Vakuum und Ärger, Wut und Vertrauensverlust führen.


Was für das Konzept des Video-Schiedsrichter hätte gelten sollen, gilt auch in Unternehmen:


- klare Zuordnung von Verantwortung,

- kein blindes Verlassen auf „höhere“ Überwachungs-Instanzen (z.B. Controlling oder interne Kontrollsysteme),

- klare Regelung zu Hol- und Bringschulden von entscheidungsrelevanten Informationen, Zusammenarbeit „auf Augenhöhe“, um zu möglichst vielen guten Entscheidungen zu kommen,

- aktives Agieren der verantwortlichen Führungskraft sich selbst ein Bild von der Situation zu machen und schließlich auch

- eigene Entscheidungen kritisch auf den Prüfstand zu stellen.


Im Falle des Video-Schiedsrichters müsste aus meiner Sicht die Lösung wie folgt aussehen: Stärkung der Rolle des Hauptschiedsrichters vor Ort, der die alleinige Verantwortung trägt und dabei durch seine Assistenten an der Linie und durch den Video-Schiedsrichter als Teil des Teams auf Augenhöhe unterstützt wird. Der Schiedsrichter vor Ort entscheidet aktiv, ob er sich Szenen anschauen will und hat die Holschuld, die Meinung seiner Assistenten einzuholen, wenn er sich nicht sicher ist. Die anderen im Team haben gleichzeitig die Aufgabe auf Fehlentscheidungen hinweisen.


Zum Thema „Entverantwortung“ heute die folgenden Fragen zur Reflektion:


1. In welchen Themen und in welchen Situationen fühle ich mich manchmal „entverantwortet“?

2. In welchen Themen und in welchen Situationen entverantworte ich meine Mitarbeiter?

3. Wie gehe ich mit dem Thema „Hol- und Bringschulden von wichtigen Informationen“ um?

4. Wer würde mich vor einer gravierenden Fehlentscheidung warnen?

5. Was tue ich persönlich, um gravierende Fehlentscheidungen zu vermeiden?


Wie immer wünsche ich viel Glück und Erfolg bei allem, was Sie tun.

Ihr Frank Bönning

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